Aus Schiedels Vergangenheit

 

Aus einer Studie von Rudolf Nicolaus, Radebeul 4, Stalinstraße 358

 

Es mag verzeihlich sein, daß hier nur Episoden genannt werden können. Bei der Verwendungsmöglichkeit aller Quellen entstünde gewiß ein umfänglicheres Bild.

1318 wütete der „schwarze Tod''. Viele Menschen starben jählings. Manchen Eltern wurde eine blühende Kinderschar hinweggerafft, Entsetzensvoll fürchtete man wohl den Ausbruch dieser tückischen Krankheit. 1360 erbaut der Bauer und Richter Martin Nicol auf dem Hofe, den er von seinem Vater übernahm, ein festes Haus. Die Familie war nun schon rund 100 Jahre ansässig. Die normale Bauart der Häuser war wohl das aus starken Balken gefügte Fachwerk mit Lehmwänden. Sie boten räuberischen Überfällen wenig Schutz. Das feste Haus des Richters wurde mit Wassergräben und Schießscharten versehen und war die Zuflucht der Dorfbewohner in schweren Notzeiten. Das alte Haus hat allen Stürmen der Zeiten standgehalten. Der Richter Martin stellte als Lehnsmann der von Ponickau 5 Reißige zu Pferd und 3 Fußknechte zum Aufgebot.

Im November 1399 verstarb im benachbarten Zschornau der Bauer und Richter Jost Haubtmann. Er starb im rüstigen Alter von 45 Jahren an den Wunden, die er im Heere des Kaisers erhielt, als er im Aufgebot des Landvogtes zur Bekämpfung der Raubburgen ausziehen mußte. Es ging gegen „den Burgstall Ronaw im Lande Sittaw" (Ronau bei Zittau). Jost führte ein „Cleffen". Dies war ein Trupp aus fünf Reitern, mit Spieß und Harnisch gewappnet. Die Einnahme erfolgte 1399. Das 14. Jahr­hundert war eine bewegte Zeit. Seit dem Jahre 1319/20 war die Stadt Kamenz landesunmittelbar geworden. Die bekannten sechs Städte der Lausitz hatten sich 1346 zum Sechs-Städte-Bund zusammengeschlossen. So zog das Aufgebot oftmals aus zum Brechen der Raubrittersitze. So un­terstützten sich die Sechsstädte gegenseitig, als z. B. Zittau 1352 die Burg „Körse" brach (Burg Kirschau). 1401 verkaufte Hanns von Ponickau den Ort Schiedel, soweit er ihm gehörte, an das Kloster Marienstern. Der damalige Richter Valten Nickil (oder Nicklas) wird zum Amtmann des Klosters bestellt. Zur Zeit der Hussitenkriege hatte der Ort unsäglich zu leiden. Marodeure müssen 1431 ganz plötzlich ins Dorf eingefallen sein. So konnte es geschehen, daß viele Bewohner nicht Zeit fanden, sieh in das feste Haus des Richters Merten Nicol, dessen Frau eine Tochter des Jost Haubtmann war, zu retten. Viele Angehörige der Bauernfamilien wurden in ihren Häusern erschlagen. Der Ort ging in Flammen auf. Nur das Haus das Richters widerstand den Angriffen. Tod, Raub und Brand hatten gewütet, Jammer und Elend blieben zurück.

Im Klosterarchiv werden die Drillinge des Barthel Nicol erwähnt, die ihm im Oktober 1442 geboren wurden. Man schrieb, daß zwei der drei Mädchen nach drei Tagen verstarben, das Kind mit dem Namen der Gottesmutter „Maria" jedoch am Leben blieb. Der Vater war ein gebildeter, federgewandter Mann, war erst Lateinschüler, übernahm jedoch das väterliche Gut im Mai 1440.

Die Bedrückungen der Bauern durch ihre Herrschaften waren unterdessen gewachsen. Es. gingen deshalb besonders geknechtete bei Nacht und Nebel davon, um sich eine andere bessere Heimat zu suchen. Die ritterlichen Herren waren aber nicht gewillt, „ihre Leute" zu verlieren. Man hatte deshalb die „Geburts- oder Losbriefe" eingeführt. Jeder, der also seine Heimat verlassen wollte, mußte sich sozusagen „loskaufen". Da ist z. B. von der Äbtissin verzeichnet: Mittwoch nach Oculi 1545, Losbrief für den Fortzug ihres lieben und getreuen Untertanen Merten Tausend, auch frommen Bauers zu Schiedel. Merten Tausend hatte den Hof an seinen Schwiegersohn Ambrosius Brieschk übergeben und wollte nun davonziehen.

Solche Los- und Geburtstbriefe im Konzept oder Original werden sich im Archiv Marienstern wohl eine ganze Anzahl befinden. Als der Dreißigjährige Krieg die deutschen Länder mit Mord, Brand und Pestilenz heimsuchte und aus blühenden Landschaften ausgestorbene, ausgebrannte Wüsteneien machte, verschonte er nicht das Kamenzer Land. Die Schweden brannten im Dorf. Wer sein abgebranntes Gehöft wieder aufbauen wollte, geriet in Schulden. Er war auf die Unterstützung anderer angewiesen, die über die gefahrvollen Zeitläufe glücklich und unbeschwert gekommen waren. Das hatte auch der Bauer Gregor Schirack, seit 1629 Richter, zu spüren. Er hat bei Martin Schuppan in Deutsch-Baselitz Schulden und soll nun, da dieser verstorben, an dessen Bruder zahlen lt. Gerichtsbuch Deutsch-Baselitz Bd. 25 Fol. 24 b vom 11. 11. 1637 ...

Zu einer weiteren Bearbeitung und Erforschung der Geschichte der Kamenzischen Dörfer bzw. der ehemaligen „Herrschaft Kamenz" und damit der Geschichte der Oberlausitz wäre es nur zu begrüßen, wenn die geistliche Leitung des Klosters Marienstern sich entschließen könnte, ein Inventarium Mariensterner Archivalien aufstellen zu lassen.

Ohne Zweifel ist der bisher unerschlossene Vorrat an Dorfgeschichts-oder Rügenbüchern, Totenbüchern, Los- oder Geburtsbriefsammlungen, Hufen-, Zins- und Zehntregistern, Lehnbriefen, Protokollbüchern und sonstigen Aufzeichnungen sehr groß. Ein guter Anfang wurde kürzlich mit der Veröffentlichung über das Zinsregister des Klosters Marienstern (um 1374—1382) von Walther Haupt und Joachim Huth gemacht. Aber noch warten auf Bearbeitung und Beschreibung die Hufenregister von 1640 bis 1706, noch wartet auf Übersetzung und Beschreibung und Abbildung, am besten in Farbfoto, das so kostbare Untertanenverzeichnis der Herren von Kamenz von 1270 bzw. 1290.

Die vorliegende Arbeit will als Hinweis und Ansporn für die jungen heimatliebenden Geschichtsforscher der Oberlausitz dienen. Wenn dies zu einem kleinen Teil gelungen ist, ist ihr vornehmstes Ziel erreicht.

 

Aus : Kamenzer Kulturspiegel 1958/12